Selbstwert in kristalliner Form.
Quelle BloG Tagesanzeiger
Zürich ist bekannt für seinen Kokainkonsum. Das hat wohl damit zu tun, dass Kokain noch immer mit Erfolg gleichgesetzt wird. Dabei ist Kokain eine Verliererdroge. Und nicht nur das. Wie wir diese Woche erfahren haben, besteht Koks inzwischen meist mehr aus Tiermedikamenten, Psychopharmaka, Mehl und dünn geriebenem, übersteigertem Geltungsdrang.
Damals, in den 80ern und 90ern, wurde Kokain von Bankern, Werbern und Künstlern als Macher-Droge, als Statussymbol für die Erfolgreichen gehyped. Natürlich war das damals schon Bullshit, da die Glitzerlinie auf dem Weg in die Nase eigentlich nur aussagte, dass man den Druck seines Yuppie- oder Szeni-Lebens ohne Substanz nicht aushielt und seine Fantasiepersönlichkeit nicht ohne aufrechterhalten konnte. So gesehen ist Koks eine Droge für Möchtegern-Narzissten, deren Ego nicht ohne pharmazeutische Flügel über die Menge abheben kann.
In meinem Alter begegnet man heute dem Koks in Zürich meist bei Alt-Szenis, die das Pulver aus Angst rupfen, von den jungen Clubhipstern vom Coolness-Thron gestossen zu werden. Koks hilft noch immer, um bei jungen Partyhühnern zu punkten, oder um sich auch mit Ü35 noch sexy zu fühlen. Koks ist kein Statusstatement mehr, es ist eher eine Art Viagra für das Ego, der pulverisierte Porsche für die Midlife Crisis von Berufsjugendlichen.
Männer, die nur noch einmal im Monat abfeiern können, weil sie an den anderen Wochenenden die in den 00ern gezeugten Kinder aus den drei an Koks gescheiterten Beziehungen bei sich haben, schalten mit neidischem Blick auf die Energie der 25-Jährigen den Pulverturbo rein. Frauen, die sich früher nur mit abweisender Arroganz vor der Aufmerksamkeit der Männer retten konnten, frieren sich heute mit Schnee die Herablassung ins Gesicht, mit der sie die 20 Jahre jüngere Konkurrenz für ihre Frische strafen. Pärchen, bereits lange in der selbst erzeugten Eigenheimhölle mit Leasingverträgen, halten auf dem Schneeberg Hof, um sich von anderen Pulvernasen huldigen zu lassen. Ex-Kreative spinnen nochmals eine Nacht lang geile Projekte, die sie aus ihren realen Buchhaltungsaufgaben der eigenen Agenturen entführen.
Mit Kokain ist der Bruch zwischen den einstigen Hollywood-Träumen und dem unspektakulären, aber eigentlich guten Mittelstandsleben der jetzigen Realität besser auszuhalten. Wenigstens für ein paar Stunden. Spass macht Kokain nicht, es beschleunigt, bläst auf, zentriert auf den eigenen Bauchnabel. So sieht die Welt im Vergleich nicht mehr ganz so gross aus. Kokain wirkt wie eine Intimrasur, lässt das eigene Ding grösser, die eigene Sexyness jünger erscheinen.
Jüngere Clubbesucher ziehen meist chemische Stimulanzien vor, um – ach, schöner alter Euphemismus – ihr Bewusstsein zu erweitern. Nicht, dass dies gesünder oder vernünftiger wär, aber Jugend entschuldigt so manches. Die Wahl der Droge sagt aber auch etwas über das Selbstbild aus. Während die jungen MDMA-Hippies und die Acid-Freaks nach einer emotionalen, mit spirituellem Brunz verbrämten Erfahrung (So tiefe Liebe! oder So tiefes Verständnis von allem!) suchen, sind Kokser eigentlich nur auf ihren Selbstwert fixiert. Sie müssen einfach geile Siechen sein, auch wenn sie dafür wegen der tiefen Halbwertszeit des Kokains alle halbe Stunde nachladen müssen. Natürlich gibts auch Jüngere, die sich mit Koks aufblasen. Sie versuchen die Persönlichkeit vorzutäuschen, die sie in zehn Jahren gerne wären.
Also, meine lieben, alten Freunde, bitte ruft mich nicht mehr montags an und jammert mir vor, dass ihr nie mehr Drogen nehmen wollt. Quält euch gefälligst gemeinsam mit den Ecstasy-Kids durch eure drogeninduzierte Wochenanfangsdepression. Lasst mich damit in Ruhe. Vielleicht habt ihr ja Glück, und euer Pulver war mit Antidepressiva für Elefanten gestreckt.
PS: Ja, die Koksnasen dürfen mir jetzt gerne Intoleranz, fehlendes Verständnis und Lustfeindlichkeit vorwerfen.
Mein Ego hält das aus. Auch ohne Koks.
LIED ÜBER KOKAIN (RAMSTEIN)